Gossenpony

Begierden. Begehren. Fürsorge.

Konfliktraum Körper – Widerstand durch Selbstaneignung

oder: die subversive Kunst, sich selbst zu gehören Dieser Text liegt hier seit Wochen – seit den sogenannten Weihnachtsfeiertagen. Einer Zeit, die durch ihre emotionale Aufgeladenheit das Potenzial hat, die Schwere der eh schon omnipräsenten inneren Themen zu sprengen und traditionell in explosionsartiger Manier alles um sich herum in seine Einzelteile zu zerlegen. Wie oft…

oder: die subversive Kunst, sich selbst zu gehören

Dieser Text liegt hier seit Wochen – seit den sogenannten Weihnachtsfeiertagen. Einer Zeit, die durch ihre emotionale Aufgeladenheit das Potenzial hat, die Schwere der eh schon omnipräsenten inneren Themen zu sprengen und traditionell in explosionsartiger Manier alles um sich herum in seine Einzelteile zu zerlegen. Wie oft habe ich versucht, mich nach so einer Zeit über Wochen oder Monate wieder zusammenzuflicken, um mich dann mit dem metaphorischen Panzertape umwickelt in die nächste Familienkatastrophe zu werfen. Wenn das der Kink der friends der 1000-Teile-Puzzles ist – bittesehr: Der nächste Konflikt eskaliert sicher bald. T-11 Monate.

Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen und aufhören soll, denn es gibt nichts, was zu diesem Thema nicht schon gesagt oder geschrieben wurde. Aber es gibt noch weniger nichts, was dazu nicht gefühlt wurde.

Neulich ist mir die Geschichte des Ursprungs der feministischen Selbstuntersuchung untergekommen. Eine Frau in den USA unterzog sich in den 1970er Jahren einer gynäkologischen Untersuchung, und der Arzt sagte ihr, sie habe einen ausgesprochen hässlichen Muttermund. Daraufhin tourte sie durchs Land und hat anderen Frauen beigebracht, sich selbst zu untersuchen und den Blick den Vaginaleingang hoch zu wagen – um sich selbst zu sehen und von diesem männlichen Blick zu lösen. „Einen hässlichen Muttermund“, – das muss man sich mal vorstellen. Der Drang mancher Menschen, andere Körper zu bewerten, macht nicht mal vor inneren Organen Halt.

Schreiben als Zumutung: Ein Textkörper, der sich gegen mich stellt

Dieser Text nervt mich jetzt schon total, weil das Thema doch schon x-mal durchgekaut wurde und abgesehen von der Anekdotischen Erzählung über die feministische Selbstuntersuchung eben bin ich mir sicher, dass hier kein wirklich neuer revolutionärer Gedanke entstehen wird. Es nervt mich, dass ich über etwas so Banales wie Körper schreiben muss, weil es mich jeden Tag beschäftigt. Und on top schreit mich seit Wochen diese Datei „241226_Körper.docx“ an: Körperformen, -kommentare, -sexualität, -klasse, dein Körper, mein Körper, nackt, angezogen, gepflegt, geschunden. Schreib endlich irgendwas und bring es hinter dich. Ich habe kurz überlegt, ob dies ein Text über Texte über Körper werden könnte, um damit irgendeine Metaebene reinzubringen, aber der Versuch, gegen die allgegenwärtige Macht des Themas durch diesen rhethorischen Kniff Widerstand zu leisten scheitere nach diesem Absatz:

„Eigentlich sollte dieser Text anders beginnen. Er sollte mit einem Zitat aus dem Beipackzettel eines Vitamin-H-Präparats anfangen, was ich gerade für „starke Haare und Nägel“ nehme und worin zunächst einmal der fact gedropped wird, dass sich eine Haarwurzel alle 6 Jahre erneuert. Alle 6 Jahre hat ein Mensch also komplett anderes Haar von der Wurzel bis zur Spitze. Ein prima unnötiger Party-fact. À votre service.“

Dieser Text sollte dann mit der Geschichte weitergehen, wie ich vor Kurzem auf dem Geburtstag meiner besten Freundin ein Wiedersehen nach einem 7-jährigem Sich-nicht-im-Kosmos-des-Anderen-habens mit einer alten, man könnte sagen, Liebelei hatte. Eine Affaire in meinen frühen und seinen noch früheren 20ern, die leidenschaftlich Leiden schaffte. Dieser Text sollte alte neue Körper heißen und um das körperliche Wiedererleben des:der anderen gehen und wie sich Körper verändern und doch die Gleichen bleiben. Wie sich Vertrautheit anfühlt und wie befriedigend Wiederholungen und wie aufregend Erwartungsbrüche sein können.

Ich hätte über mein Vitamin-D-Präparat geschrieben und dass da im Beipackzettel steht, wann sich welche Zellen erneuern. Wenn sich Haarwurzeln alle sechs Jahre komplett erneuern, wie wäre es mit den anderen? Eine populäre Vorstellung ist, dass es sieben bis zehn Jahre dauert, bis der gesamte Körper mit neuen Zellen ausgestattet ist. Herz- und Nervenzellen bleiben uns jedoch meist ein Leben lang erhalten. Dieser romantisierte Gedanke hätte Stoff für viele schmalzige Metaphern geliefert (sich nicht mit den selben Augen sehen lalala) – aber darum geht es hier nicht. Denn einen Text über Texte über Körper zu schreiben macht aber noch weniger bock als über die Sache an sich und versteckt sich.

Ich produziere, also gehöre ich? Machtverhältnisse, Systemlogiken und der politisierte Körper

Es geht hier also nicht um ein romantisches Wiedersehen, sondern um die unzähligen Verletzungen, die unseren Körpern durch ungefragte äußere Bewertungen zugefügt werden. Auffällig häufig ist es an Feiertagen, wenn in sogenannten Herkunftsfamilien oder anderen emotionalen Abhängigkeitsverhältnissen offenbar ein im System liegender legitimierter Freifahrtschein zur Grenzüberschreitung dazugehört, frei nach dem Gedanken:

Dieser Körper ist in mir gewachsen und danach von mir gefüttert und geformt worden und deswegen besteht überdies ein unbedingtes Anrecht auf meine Bewertung seiner Existenz

die Absurdität dieser Logik führt dazu, dass eine potenziell schöne und romantisierte neue Körperbegegnung (wie etwa die mit meiner alten Affäre) in einem pathologischen Denkmuster endet:

Du bist immer zu viel und nie genug.

Welcome to Fleisch-und-Blut-Schlussfolgerungen in kapitalistischer Verwertungslogik: Ich habe dich produziert, also gehörst du mir. Gleichzeitig gehört mein Körper der Gesellschaft, solange er sich produziert. Kapitalismus erzieht uns dazu, unseren Körper ständig selbst zu optimieren – nicht für uns, sondern für die Verwertung. Schlank, produktiv, kontrolliert. Der Imperativ lautet: Mach dich selbst zu einem besseren Produkt. Ein Perpetuum mobile der eigenen Unzulänglichkeit dient dem Machterhalt der Anderen. Denn so lange wir mit unseren Körpern beschäftigt sind, beschäftigt uns hoffentlich nichts anderes, was politische Mächte dekonstruieren könnte.

Nachdem ich über die Feiertage also gefüttert und gleichzeitig darauf hingewiesen wurde, wie auffällig ich an diversen Stellen meines Körpers zugenommen hätte, habe ich die Reißleine gezogen. Ich fuhr zu diesem Mann von vor sieben Jahren. Ohne zu wissen, worum es ging, nahm er mich in den Arm, machte mir heiße Schokolade und behandelte meinen Körper wie das, was er ist: ein Körper, dem er gerne nah sein wollte. Nicht mehr, nicht weniger. Jemand, der mir out of the blue sagt: du bist verdammt schön. Der mir eine seiner Shorts geben musste, weil meine Unterwäsche Realtak noch zu nass war, als ich fahren wollte. Er ist knapp 2 Meter groß, ich 157. Sie passt mir. Gerade trage ich sie und fühle mich sehr wohl darin.

Dieser Text ist keine romantische Glückserzählung von einer heterosexuellen cis-Frau, die ihre inneren Wunden durch familiäre Übergriffe in ihren Körper eingeschrieben bekommt und damit gesellschaftlich vorherrschende sexuelle Gewalt plötzlich demontieren kann und alles ist happy happy joy joy. Diesem Narrativ zu glauben, es brauche nur den richtigen Mann, der feedbackt, wie wunderschön man nackt aussieht, ist in keinem Universum etwas, was ich bedienen mag. Denn es stimmt nicht. Diese Wunden, die entstehen, heilen nicht wie durch Zauberhand durch den einen Kommentar durch den einen Mann, der dann Sex mit dir hat und dadurch lösen sich dann alle Probleme. Es gibt keinen Zaubermoment, in dem ein Kommentar oder eine Berührung alle Wunden heilt. Diese Verletzungen sitzen tief und haben System. Aber vielleicht reicht es, um sie als Teil einer größeren Wahrheit zu erkennen:

Körper sind politisch.

Diese Begegnung steht in scharfem Kontrast zu einer Welt, die unseren Körpern systematisch Wertungen aufdrückt. Diese Wertungen sind kein Zufall – sie sind das Ergebnis tief verwurzelter Strukturen. Kapitalismus zwingt unsere Körper in Verwertungsketten, Gendernormen diktieren, wie wir auszusehen, uns zu bewegen und zu sprechen haben. Familiäre Machtverhältnisse rechtfertigen übergriffige Kommentare mit biologischer Verbundenheit. Diese Mechanismen greifen ineinander und erzeugen die ständige Botschaft:

Du bist nie genug.

Wenn Körper politisch sind, dann ist das Narrativ des ‚Nie genug‘ ein bewusst eingesetztes Machtinstrument. Es hält uns im Hamsterrad der Selbstoptimierung gefangen und verkauft diese Anpassung an diese Unterdrückungsmechanismen als Freiheit à la: du kannst frei sein, wenn du dich den Bedingungen unterwirfst, die wir als Grundlage unseres Freiheitsbegriffs definiert haben.

Wer ist in einem Patriarchat nochmal freier als frei?

die subversive Kraft der Selbstaneignung

Die subversive Kraft der Selbstaneignung liegt darin, diese Strukturen sichtbar zu machen und sich ihnen zu entziehen. Es bedeutet, den eigenen Körper nicht mehr als Ware oder Projektionsfläche fremder Erwartungen zu begreifen, sondern als etwas Eigenes, Widerständiges. Subversive Selbstaneignung kann viele Formen annehmen: von der bewussten Entscheidung, sich gegen Diätkultur zu stellen, bis hin zur radikalen Ablehnung, den eigenen Wert an gesellschaftlichen Normen zu messen. Es ist ein Akt der Weigerung und gleichzeitig ein Akt der eigenen Gestaltungsfreiheit.

Dieser Text über Körper ist die einzige Leinwand, die ich bereit bin zu gestalten – nicht mit dem Werkzeug fremder Urteile, sondern mit den Schichten meiner eigenen Wahrnehmung. Denn was bleibt uns anderes übrig, als in einer Welt, die Körper ständig vermisst, bewertet und kategorisiert, die Radikalität der Selbstaneignung zu wählen?

Die Wahrheit ist, dass Körper nie nur Körper sind. Sie sind zugleich Schauplatz und Gefäß, Erinnerung und Projektionsfläche, verletzbar und widerständig. Sie tragen Geschichten, die oft mehr über die Gesellschaft erzählen, in der sie existieren, als über die Person, der sie gehören. Und genau hier liegt die Krux: Die hartnäckige Weigerung vieler, anzuerkennen, dass ein Körper nicht erklärt, nicht entschuldigt, nicht rechtfertigt. Er ist. Das sollte genügen.

Es ist absurd, dass wir über etwas so Bumsbanales und zeitgleich sowas Fundamentales wie Körper sprechen müssen, als wäre ihre bloße Existenz eine Provokation. Doch vielleicht liegt darin auch die Chance: in der Weigerung, ihre Deutungshoheit abzugeben. In der Behauptung, dass der Wert nicht durch Maßeinheiten, Kommentare oder Normen bestimmt wird. In der Rückkehr zu dem, was der Körper ist: ein unauflöslicher Teil unseres Seins, der keine Rechtfertigung schuldig ist.

Dieser Text endet nicht mit einer Lösung, weil es keine einfache gibt. Aber vielleicht genügt es, ihn mit einer Weigerung abzuschließen: der Weigerung, den eigenen Körper zum Schlachtfeld fremder Erwartungen werden zu lassen. Stattdessen bleibt nur das: die Entscheidung, ihn als das zu begreifen, was er immer war – ein lebendiges Paradox aus Zerbrechlichkeit und Stärke, Wandel und Beständigkeit, das uns trotz allem trägt.

Es ist die subversive Kraft der Selbstaneignung, die uns unsere Körper zurückgibt – politisch, radikal, unmissverständlich.

Mein Körper gehört mir.

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